Laut einer Mitteilung der Staatsanwaltschaft Wien wurde das Verfahren gegen Ott (Aktenzeichen: 719 St 5/21v) bereits am 24. Juni 2024 beendet – ohne großes Aufsehen.
Der brisante Vorwurf: Ott soll den ehemaligen österreichischen Diplomaten Johannes Peterlik dazu angestiftet haben, ein streng vertrauliches OPCW-Dokument zu beschaffen. Schwerwiegende Anschuldigungen standen im Raum: Anstiftung zum Amtsmissbrauch, Amtsmissbrauch selbst und Verrat von Staatsgeheimnissen.
Warum sich die Ermittlungen derart in die Länge gezogen haben und was wirklich hinter den Kulissen vor sich ging, bleibt weiterhin ein undurchschaubares Rätsel.
Es ist, als ob die Kriminalpolizei wegen Mordes ermitteln würde, obwohl das vermeintliche Opfer noch quicklebendig ist. Die entscheidende Frage drängt sich auf: Warum wurde nicht von Anfang an geklärt, wer alles Zugang zu den sensiblen Dokumenten hatte – und ob es sich überhaupt um echte Staatsgeheimnisse handelt? Am Ende des Tages wurde vier Jahr ermittelt und Steuergelder wurden regelrecht versenkt.
Einstellung des Verfahrens gegen Egisto Ott
Aus einem brisanten Schreiben des Justizministeriums geht hervor: Peterlik, der ehemalige Generalsekretär des Außenministeriums und Spitzendiplomat, hat weder eine Kopie noch eine Fotografie der hochsensiblen Nowitschok-Dokumente angefertigt.
Der nächste Schlag: Die Sonderermittlungseinheit AG FAMA konnte keine Beweise dafür finden, dass Ott Peterlik dazu verleitet haben soll, ihm die Dokumente zu übermitteln. Ott wurden brisante Dokumente anonym per Post zugestellt. Und der Besitz solcher Dokumente, auch als ehemaliger BVT-Beamter, ist nicht strafbar.
Trotz jahrelanger Ermittlungen und intensiver Nachforschungen wurden alle Ansätze ausgeschöpft – ohne Erfolg der AG FAMA. Das Verfahren wurde mangels Beweise eingestellt. Staatsanwältin B. hält in dem Einstellungsschreiben fest: „Eine konkrete Anstiftungshandlung durch Egisto Ott konnte nicht nachgewiesen werden. Zudem enthalten die OPCW-Dokumente keine Staatsgeheimnisse.“
Die Ermittlungen der AG FAMA, die sich über mehrere Jahre erstreckten, brachten keine Beweise für eine Verwicklung Otts ans Licht. Besonders pikant: Das OPCW-Dokument, das im Zentrum des Falls stand, stellt kein Staatsgeheimnis dar. Doch was verbirgt sich hinter der mysteriösen Nowitschok-Causa?
Rückblick: „OPCW, Weitergabe eines vertraulichen Dokument“
Die brisante Sachverhaltsdarstellung des Sachbearbeiters T. vom 24. Juli 2020 mit dem explosiven Titel „OPCW – Weitergabe eines vertraulichen Dokuments“ entfachte einen regelrechten Ermittlungstsunami.
In atemberaubender Eile reagierte das Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (BMEIA) und zog in einer noch nie dagewesenen Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW) sowie dem Bundesministerium für Landesverteidigung (BMLV) alle Register. Ein Anlassbericht wurde auf höchster Ebene verfasst und prompt der Staatsanwaltschaft übergeben.
Financial Times öffnet die Büchse der Pandora
Das Schreiben des BMEIA verweist wiederum auf eine Enthüllung der Financial Times (FT), die den österreichischen Staatsbürger Jan Marsalek und den beispiellosen Wirecard-Skandal weiter in den Abgrund zog.
Die FT berichtete am 9. Juli 2020, dass Marsalek im Jahr 2018 in London angeblich streng geheime Dokumente der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) einer Gruppe von Tradern präsentiert haben soll. Über den Zeitpunkt der Übergabe der Dokumente an die Journalisten gibt es jedoch unterschiedliche Versionen.
Nur einen Tag später, am 10. Juli 2020, legte die FT nach und veröffentlichte einen weiteren Artikel, der im letzten Absatz die Brisanz des Falls noch weiter unterstrich.
Im ersten Artikel war Marsalek sogar mit einer Fotomontage zu sehen – er steht vor einem als „vertraulich“ markierten OPCW-Dokument, das sich auf den folgenschweren „Amesbury-Vorfall“ im Juni 2018 in Großbritannien bezieht. Bei diesem Vorfall wurde ein Paar durch den hochgefährlichen Nervenkampfstoff Nowitschok schwer vergiftet. Die Frau starb kurz darauf, ihr Mann konnte nach einem Monat die Klinik wieder verlassen.
Nur wenige Kilometer entfernt und einige Monate früher, wurden am 4. März 2018 in Salisbury, der ehemalige russische Doppelagent Sergej Skripal und seine Tochter Julija ebenfalls Opfer. Man fand sie vergiftet auf einer Parkbank. Beide überlebten. Die erschreckenden Parallelen und Marsaleks Verstrickungen in diese dunklen Machenschaften ließen die Grenzen zwischen dem Finanzskandal Wirecard und einer globalen Geheimdienstaffäre endgültig verschwimmen.
OPCW leitet „brisante“ Informationen weiter
Wenige Tage später, nach der Veröffentlichung der FT, am 13. Juli 2020, kam es zu einem fragwürdigen Moment: Die österreichische Botschafterin in den Niederlanden G. verabschiedete sich offiziell als Diplomatin bei einem Event, sie stand vor der Rückkehr zurück nach Österreich. Anwesend war auch bei der Feier der Generaldirektor der Organisation for the Prohibition of Chemical Weapons (OPCW), Fernando Arias Gonzalez. Doch was eigentlich als lockerer Abend begann, nahm eine überraschende Wende. In einem vertraulichen Gespräch enthüllte Arias plötzlich ein schockierendes Detail: Ein geheimer Barcode auf dem besagten Dokument des FT-Artikels deute darauf hin, dass das durchgesickerte Papier seinen Ursprung in Österreich habe.
Nowitschok-Dokumente kommen nach Österreich
Rückblick – wir schreiben das Jahr 2018: Zum Zeitpunkt der Übermittlung der Dokumente war Karin Kneissl (FPÖ) Ministerin im Außenministerium, Mario Kunasek (FPÖ) der Verteidigungsminister und Margarethe Schramböck (ÖVP) die Wirtschaftsministerin.
Die vertraulichen Dokumente, die für Österreich bestimmt waren, wurden von der österreichischen Vertretung bei der OPCW abgeholt und per diplomatischer Post an das zuständige Referat im Außenministerium (BMEIA) übermittelt. Doch hier beginnt das wahre Rätsel: Das Kuvert gelangte in die Hände eines Referatsleiters, der es nicht nur für das Verteidigungsministerium (BMLV) kopierte, sondern das Original auch weiter an das Wirtschaftsministerium (BMDW) sendete. Ab diesem Zeitpunkt bekam das Dokument Füße.
Umgang mit Dokumenten in Ministerien
Offiziell heißt es, die brisanten Dokumente seien „sicher verwahrt“. Doch der fahrlässige Umgang mit den Unterlagen im Außenministerium sprengt jede Vorstellungskraft!
Ein Dokument aus den Ermittlungsakten enthüllt: Dutzende Mitarbeiter des Ministeriums hatten Zugriff auf die hochsensiblen Nowitschok-Papiere. Die Namensliste der berechtigten Personen erstreckt sich über sage und schreibe sechs Seiten.
Fazit und Ausblick
Es ist kaum zu glauben: Während die Öffentlichkeit im Dunkeln tappte, brodelte hinter den verschlossenen Türen der Behörden ein wahrer Skandal. Die Beamten selbst, die die Geheimnisse des Landes schützen sollten, haben im Außenministerium einen beispiellosen Sorgfaltsbruch zugelassen. Dutzende von ihnen hatten freien Zugriff auf die Nowitschok-Dokumente. Und all das, während jahrelange Ermittlungen gegen Egisto Ott und Johannes Peterlik liefen – Ermittlungen, die sowohl Karrieren als auch Reputationen zerstörten.
Viele Fragen bleiben aktuell noch ungeklärt:
Dienten die jahrelangen Untersuchungen tatsächlich der Aufklärung eines Verbrechens, oder verfolgten einzelne Player insgeheim eine politische Agenda?
Warum wurden die Verfahren, die das Leben dieser Beamten auf den Kopf stellten, still und heimlich eingestellt?
Fass ohne Boden wird sich nun dieser dunklen Machenschaften der österreichischen Tangente in der Causa Nowitschok annehmen. Im Fokus stehen die Praktiken des österreichischen Bundeskriminalamts.