Die Kritik von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) an der Verteilung von Impfstoffen unter den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wächst sich in Österreich immer mehr zum koalitionsinternen Konflikt aus. Nachdem Ines Stilling, Generalsekretärin des grün geführten Gesundheitsministeriums, der Kritik am Samstag widersprochen hatte, folgt nun ein Eklat in der Regierung. ÖVP-Gesundheitssprecherin Gaby Schwarz fordert „sofortige Suspendierung der verantwortlichen Beamten im Gesundheitsministerium”.
Dies sei unvermeidbar, so Schwarz. Es stelle sich insbesondere die Frage, wie man Verträge abschließen konnte, die dazu geführt hätten, dass andere EU-Länder mehr Impfstoff bekommen und warum die Vereinbarung der EU-Staats- und Regierungschefs gebrochen wurde. “Es ist kaum vorstellbar, dass Anschober darüber im Detail Bescheid wusste. Es gilt aufzuklären, ob er von den zuständigen Beamten des Gesundheitsministeriums getäuscht wurde.” Anschober ist derzeit krankheitsbedingt außer Gefecht. Er will Anfang kommender Woche seine Arbeit wieder voll aufnehmen.
Kritik von der Opposition
Die Opposition kommentierte die ÖVP-Aktivitäten erneut kritisch und heftig. Kurz habe die Schuld der EU entdeckt, meinte FPÖ-Klubchef Herbert Kickl: “Diese Botschaft ist dem Kanzler so wichtig, dass er dafür sogar bereit ist, seinen eigenen ÖVP-Parteikollegen, den Sonderbeauftragten für Gesundheit Clemens Martin Auer, schwer zu beschädigen. Dabei war es Kurz, der dem grünen Gesundheitsminister den ÖVP-Mann als Corona-Koordinator aufgezwungen hat, um auch in Anschobers Ressort hineinregieren zu können.”
Dass der Bundeskanzler nach Sündenböcken suche, meinte auch SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch: “Jetzt sind es die eigenen Regierungsbeamten, die dafür herhalten müssen, dass Kurz sich nicht um verfügbare zusätzliche Kontingente bemüht hat.” Der Kanzler selbst trage aber die politische Verantwortung. Dass er sich an den Beamten des Gesundheitsministeriums abputze, während mit Anschober deren Chef erkrankt sei und nicht Stellung nehmen könne, sei “besonders schäbig”.
Für den stellvertretenden NEOS-Klubobmann und Gesundheitssprecher Gerald Loacker sind viele Fragen noch offen: „Warum stimmt der Vertreter der österreichischen Regierung, der sogar stellvertretender Vorsitzender des genannten steering-boards ist, einem solchen Vorgehen zu? Hat Sebastian Kurz seine Regierung und ihre Vertreter überhaupt noch im Griff, wenn er offenbar nichts davon weiß? Ist das Leadership? Und warum klärt Kurz das nicht sofort umfangreich auf EU-Ebene, sondern verwendet den Verdacht für eine weitere PR-Show-Pressekonferenz, in der er sich als Aufdecker inszeniert?“