Im Zuge der Recherche rund um den Intendanten Florian Krumpöck vom Kultur.Sommer.Semmering hat die Redaktion die Protokolle von 75 Gemeinderatssitzungen im Zeitraum von 2005 bis 2021 bei der Gemeinde Semmering ausgehoben. Nach Sichtung der 436 Seiten kann der Faktor Raiffeisen am Semmering besser verstanden werden. „Die wahre Stärke des Raiffeisensektors ist seine politischen Vernetzung.“ (derstandard.at)
5,2 Millionen Euro für Projekte am Semmering
Von 2005 bis 2021 ermöglichte die Raiffeisenbank NÖ Süd-Alpin reg.Gen.mbH eine Vielzahl an Projekten am Semmering. Es sei nur am Rande erwähnt, dass die Gemeinde im Jahr 2021 gerade einmal 537 Einwohner hatte. Das Finanzierungsvolumen laut der Gemeinderatsprotokolle macht aber mehr als 5,2 Millionen Euro aus. Gemäß der Raiffeisen-Webseite spricht man in so einem Fall von einer „Regionalentwicklung“. Bei der „Regionalentwicklung“ geht es um die bewusste „Weiterentwicklung von Gemeinden und Regionen.“ (Raiffeisen)
An dieser Stelle muss erwähnt werden, dass die Gemeinde sich immer am „Bestbieterprinzip orientiert“. Die „Regionalentwicklung“ am Semmering im Zeitraum von 2005 bis 2021 sieht wie folgt aus:
- 12/2005: Ein Mietvertrag zwischen der Gemeinde Semmering und der Raiffeisenbank (= RAIBA) NÖ Süd-Alpin wurde abgeschlossen. Die Miethöhe geht aus dem Tagesordnungspunkt nicht hervor.
- 04/2008: 409.604 Euro, 337.000 Euro und nochmals 337.000 Euro wurde für ein Darlehen zur Sanierung von drei Häusern aufgenommen. Der Kreditvertrag zwischen RAIBA NÖ Süd-Alpin, Bankstelle Semmering und der Gemeinde Semmering wurde angenommen.
- 11/2010: 700.000 Euro für die „Finanzsonderaktion Infrastruktur“. Die RAIBA NÖ Süd-Alpin erhielt den Zuschlag.
- 06/2011: 500.000 Euro für die Gestaltung des Hauptplatzes. Zuschlag erging an RAIBA NÖ Süd-Alpin.
Darüber hinaus wurde ein Darlehen von 200.000 Euro für ein Lehrhotel aufgenommen. Auch in diesem Fall erhielt die RAIBA NÖ Süd-Alpin den Zuschlag. - 06/2012: 250.000 Euro für ein Darlehen zur Gestaltung des Hauptplatzes wurden aufgenommen. Auch in diesem Fall hat die RAIBA NÖ Süd-Alpin die Finanzierung übernommen. Erstaunlich an diesem Bestbieterprinzip ist die Tatsache, dass der Zweitbieter, die Sparkasse Mürzzuschlag, um 0,005% unterboten wurde.
Darüber hinaus wurde von der Gemeinde Semmering 480.000 Euro für die Sanierung eines Hauses aufgenommen. Auch in diesem Fall hat die RAIBA NÖ Süd-Alpin den Zuschlag erhalten. - 10/2015: Für die UV-Anlage Dürrgraben wurden 40.000 Euro aufgenommen. Auch in diesem Fall erfolgte die Finanzierung über RAIBA NÖ-Süd Alpin. Zusätzlich wurde ein Darlehen für die Straßenbeleuchtung zur Umstellung auf LED in der Höhe von 330.000 Euro aufgenommen. Erneut erhielt die RAIBA NÖ-Süd Alpin den Zuschlag als Bestbieter.
- 12/2015: 1.500.000 Euro für sechs Wohnungen. Die RAIBA NÖ-Süd Alpin erhielt den Zuschlag für die Finanzierung.
- 09/2016: Das „Projekt Kanalsanierung“ in der Höhe von 140.000 Euro wurde dank der RAIBA NÖ-Süd Alpin finanziert.
Bürgermeister Doppelreiter im Vorstand der RAIBA NÖ-Süd Alpin
Laut dem historischen Firmenbuch war der heutige ÖVP-Bürgermeister, Hermann Doppelreiter, von 2011 bis 2013 im Vorstand der RAIBA NÖ-Süd Alpin. Als die Redaktion den Bürgermeister in einem Interview mit dieser Tatsache konfrontiert hat, negierte Doppelreiter je im Vorstand gewesen zu sein.
Erst als die Redaktion den Bürgermeister mit dem Geburtsdatum und dem historischen Firmenbuchauszug konfrontiert hat, bestätigte der Doppelreiter dieses Faktum. Warum der Bürgermeister dies zu Beginn abgestritten hat, konnte die Redaktion nicht in Erfahrung bringen.
Doppelreiter wollte nicht erörtern, warum er überhaupt 2011 als ÖVP-Gemeinderat vom Semmering in den Vorstand gewählt wurde. Im Wortlaut der Bürgermeister gegenüber der Redaktion: „Ich war im Vorstand. Punkt.“
Compliance-Bestimmungen der Raiffeisen
Die Raiffeisenbankengruppe NÖ-Wien erwirtschaftete 2021 ein gemeinsames Ergebnis von weit über 700 Millionen Euro. (ORF NÖ) Umso mehr erscheint es als wichtig, nachzubohren, wie so ein Ergebnis überhaupt entstehen kann. Die Redaktion fasste nach und wollte in Erfahrung bringen, wie 2012 die Compliance-Bestimmungen ausgesehen haben.
Laut Pressestelle der Raiffeisen Holding Niederösterreich-Wien heißt es knapp in einer schriftlichen Stellungnahme: „Zu Ihrer Nachfrage können wir Ihnen seitens der Raiffeisen-Holding NÖ-Wien mitteilen, dass unsere Aktivitäten auf den regionalen Mehrwert analog zu unserem Gründungsgedanken abzielen. Wir halten uns selbstverständlich zu jedem Zeitpunkt an die aktuellen Gesetze und Rahmenbedingungen.“
Doppelreiters Frau erwirbt ein Waldstück am Semmering
Beachtenswert ist die Gemeinderatssitzung vom 03.04.2012. Zu diesem Zeitpunkt war Doppelreiter bei der RAIBA NÖ-Süd Alpin im Vorstand. In Abwesenheit seiner Person, der heutige Bürgermeister hat damals den Saal verlassen, wurde im Gemeinderat über einen Kaufvertrag von zwei Waldgrundstücken (1.808 m²) abgestimmt.
Das schriftliche Kaufanbot wurde von niemand geringerem als von der Familie Doppelreiter vorgelegt. Die beiden zusammenhängenden Waldgrundstücke wurden zum Preis von 1.627,20 Euro von der Gemeinde verkauft. Die Zustimmung im Gemeinderat erfolgte einstimmig.
Gegenüber der Redaktion gab der Bürgermeister den Erwerb des Waldstücks durch seine Frau zu. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass laut dem Grundbuchauszug sich die Eigentumsverhältnisse seit 1974 nicht verändert haben. Im aktuellen Grundbuchauszug, welcher der Redaktion mit 11.05.2022 datiert vorliegt, wird nach wie vor die Gemeinde Semmering als Eigentümer geführt.
Raiffeisen-Sponsoring am Semmering
Um den Bogen zu Florian Krumpöck zu spannen, wollte die Redaktion in Erfahrung bringen, wie die konkrete Kooperation der Raiffeisen Region Wiener Alpen und der Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien mit dem Kultur.Sommer.Semmering aussieht.
Die Raiffeisen Region Wiener Alpen wird erst in der kommenden Woche die Presseanfrage beantworten, da laut dem Direktor der Bank „ein gewisser Recherché [sic!]-Aufwand verbunden ist.“ Die Redaktion wird daher erst in der kommenden Woche sich eine mögliche ÖVP-Nähe der RAIBA NÖ-Süd Alpin näher ansehen können.
Von Seiten der Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien gab es keine Antworten auf die Fragen: „Wie sieht die Kooperation mit dem Verein konkret aus? Gibt es eine konkrete Kooperationsvereinbarung und wie genau kann man die Zusammenarbeit mit dem Verein verstehen? Materiell? Finanziell?“
Fass ohne Boden bleibt am Ball und wird weiterbohren.