Die Patienten spüren es und die Ärzte wissen es: Die von der Gesundheitspolitik immer betulich verurteilte Rationierung der Gesundheitsleistungen ist bereits voll da. Die Krankenkassen bremsen bei der Versorgung mit Kassenstellen und die öffentlichen Spitäler versuchen ebenfalls, die Hürden zu erhöhen – speziell im ambulanten Bereich. Der einfache Grund: Es ist für die Wiener Patienten einfach zu wenig Geld da.
Immerhin fließen laut dem renommierten Wirtschaftsinstitut EcoAustria bis 2019 an die 400 Millionen Euro in die Gesundheitsversorgung der neuen Migranten, das meiste davon in Wien. Allerdings stammen diese Berechnungen aus dem Jahr 2015 und wurden noch auf Basis wesentlich geringerer Asylwerberzahlen erstellt. Naturgemäß war auch die Zahl an Neuzugängen, die durch den Familiennachzug erst noch kommen werden, noch unbekannt.
Faktum ist jedenfalls: Auch wenn die zuständigen Wiener Stadträtin Sonja Wehsely es mit Vehemenz bestreitet, die Rationierung schreitet rasant fort. Der Wiener Patient wird bald mit Wehmut an die goldenen Zeiten der Wiener Gesundheitsversorgung zurückdenken.
Je länger man als Patient auf einen Untersuchungs- oder OP-Termin warten muss, desto billiger wird es fürs System.
Beispiele und Beweise für die Rationierung gibt es ohne Ende. Die einfachste und am schnellsten umsetzbare Rationierungsmaßnahme im Gesundheitswesen ist immer die Wartezeit. Je länger man als Patient auf einen Untersuchungs- oder OP-Termin warten muss, desto billiger wird es fürs System. Wenn ein Röntgeninstitut pro Tag z.B nur 10 MR-Untersuchungen vergütet bekommt und die Wartezeit auf einen Termin deswegen 2 Monate beträgt, muss man kein Gesundheitsökonom sein, um zu begreifen, dass hier nicht gespart, sondern klar rationiert wird.
Oder wenn ein Kind in Wien einen akuten Blinddarm hat und samt Mutter in der Ambulanz fast den ganzen Tag auf die dringende OP warten muss, weil Ärztemangel herrscht und nur ein Kinderoperateur verfügbar ist, weiß man auch als Laie, wo es lang geht. (Der Fall ereignete sich vor ein paar Tagen im SMZ Ost.)
Die Begrenzung der Leistung erfolgt weiters durch die Personalausdünnung im Kernsektor des Gesundheitssystems – also bei den Ärzten. Wenn die Kassenmedizin so unattraktiv gemacht wird, dass sich kaum noch Ärzte für Kassenverträge bewerben und in Wien monatelang Nachfolger für frei gewordene Hausarzt-Stellen gesucht werden, dann kann man nur eine restriktive Absicht der Kassen vermuten.
Gleichzeitig werden Engpässe in der fachärztlichen Versorgung weiter aufrecht erhalten. Das geht ganz einfach: notwendige neue Stellen werden einfach nicht geschaffen. Automatisch tritt dann die Rationierungsmaßnahme “Wartezeit” in Kraft und es bleibt billig.
Eine weitere ganz offene Rationierungstechnik ist die Ablehnung von Leistung. Typischerweise betrifft das die chefarztpflichtigen Medikamente: Niedergelassene Ärzte müssen regelmäßig bei den Chefärzten der Kassen für ihre Patienten nachfragen, ob sie bestimmte, nicht im Erstattungskatalog gelistete Medikamente verordnen dürfen bzw. ob die Kassen die Kosten dafür übernehmen. Die Crux dabei: Der behandelnde Arzt kennt seinen Patienten und weiß, was er gerade benötigt – unter Umständen eben auch manchmal ein Medikament, das nicht im Erstattungskodex angeführt ist. Der Chefarzt sitzt in der Kasse, “kennt” den Patienten nur online und befindet per Fernwartung darüber, ob ein Medikament nun notwendig ist oder nicht.
Das ist im Grunde eine Verhöhnung der immer so gern zitierten direkten “Arzt-Patienten-Beziehung”. Und es ist auch eine Abwertung des behandelnden Arztes – denn niemand verschreibt aus Jux und Tollerei bestimmte Medikamente, sondern deswegen, weil sie aus Sicht des Arztes eben notwendig sind.
Eine weitere, aus geografischen Gründen in den Bundesländern schon länger bekannte und nun auch in Wien einsetzende Technik der Rationierung ist es, die räumliche Entfernung zur Versorgung zu vergrößern. Die Schließung und Verlegung von Ambulanzen und Spitälern erhält dafür euphemistisch den Namen “Zentrumsbildung”.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Augenheilkunde in Wien: Das “Spitalskonzept 2030” sieht vor, dass es für ganz Wien nur noch eine Augenabteilung im 3. Bezirk in der Krankenanstalt Rudolfstiftung geben soll. Der Rest wird geschlossen (abgesehen vom AKH).
Endpunkt dieser zentralistischen Entwicklungen sind riesenhafte Moloche, die hunderttausende Patienten pro Jahr versorgen müssen. Zwangsläufig entstehen in diesen medizinischen Mega-Cities kontraproduktive Phänomene wie ausufernde Bürokratie, technokratische Standardisierung, fortschreitende Entfremdung und Verlust der persönlichen Atmosphäre.
Das sind alles keine erfreulichen Entwicklungen. Auch wenn uns die politisch verantwortlichen Architekten dieser “Fortschritte” täglich aus den Medien entgegen lächeln und uns einreden wollen, wie toll und gut das System doch in Österreich noch immer sei – das stimmt einfach nicht (mehr), denn die Patienten merken es und wir als Ärzte sehen es ganz deutlich, dass die Rationierung der Leistung und daher de facto eine Verschlechterung der Versorgung längst beim Patienten angekommen sind.
Und erst vor ein paar Tagen sagte eine ältere Patientin zu mir:
“Ich versteh das alles nimmer, Herr Doktor. Ich hab 40 Jahre gebuddelt für dieses Land und trotzdem ist für uns Österreicher immer weniger da. Aber für die, die da jetzt zu uns kommen, wird alles gemacht und da ist offenbar genug Geld da. Das ist doch furchtbar ungerecht!”
Ich konnte der alten Dame nicht wirklich widersprechen.
Die Bequemlichkeit sich einen Arzt privat leisten zu können hat schon Vorteile; …dennoch ist es ungerecht so etwas in Anspruch nehmen zu “müssen” – wenn zB ein Termin für eine Bein-Angiographie satte 3 Monate dauert, und der Krankenkasse genauso (rund) 300 Euro kostet; also genauso viel wie Privat; so wird die Kasse doch nicht annehmen, dass ein Arzt zur Abklärung einer Krankheit nur zum Spaß eine Angiopraphie veranlasst. Überdies, bei satten Monatsbeitrag von EUR 1.440,- kann sich ein Angestellter eine Sanatoriumsversicherung leisten und hat weit mehr davon