Die vergangenen Tage wurden wir Zeuge einer hitzig geführten Diskussion im deutschsprachigen Raum. Der traurige Anlassfall war das Attentat in Hanau (Deutschland). Neun Menschen mit Migrationshintergrund wurden ermordet. Darüber hinaus sind mehrere Personen schwer verletzt worden. Die Amoklauf des Todesschützen Tobias R., der seine Mutter und schließlich sich selbst nach der Tat gerichtet hat, wird von deutschen Behörden als ein rechtsradikaler Anschlag gewertet. Der Täter hinterließ ein Bekennerschreiben und veröffentlichte diverse Videos.
Der Schock sitzt tief, Deutschland befindet sich in einer Schockstarre, Wut und Zorn machen sich breit, die Frage nach den politischen Verantwortung wird gestellt und die internationale Anteilnahme ist beeindruckend. Die letzten vier Tage wurde über die Gräueltat sehr ausführlich berichtet. Des Weiteren publizierten Medien auch meinungsbetonte Inhalte. Experteninterviews standen und stehen an der Tagesordnung, auch in der österreichischen Medienlandschaft.
Puls 24 interviewt „Expertin für Rechtsextremismus“
Der Nachrichtensender Puls 4 entschied sich in der vergangenen Woche, eine „Rechtsextremismusexpertin zum Terroranschlag in Hanau“ zu interviewen. In die Sendung von Puls 24 wurde Natascha Strobl eingeladen. Das Interview kann unter diesem Link abgerufen werden.
Eine zentraler Punkt der Analyse von Natascha Strobl beinhaltete die Erörterung des sogenannten „Stochastischen Terrorismus“. Aber auch Social Media Kanäle zur Interaktion wurden von ihr genannt. Als Plattform zum Gedankenaustausch nannte Strobl „Reddit“. Der wochen- oder monatelange Konsum von „Memes“ mit rechtem Gedankengut könnten zur Radikalisierung beitragen.
Weitere Ausführungen von Strobl beinhalteten eine Kritik am deutschen Verfassungsschutz. Die „Rechtsextremismusexpertin“ vertritt außerdem die Ansicht, dass es Parallelen bei den extremistischen Gruppierungen gibt: „Da gleichen sich eigentlich die Rechtsextremen und der IS.“
Und solange Parteien, so Strobl, beispielsweise in Österreich „Wir oder die Muslime“ im politischen Alltag zur Schau stellen, können diese Gedanken zu Terrorismus führen. Dem zu entgegnen, müsste das System in Österreich stärker auf Prävention setzen. Vor allem fehle es an Aussteigerprogrammen für Rechtsextreme in Österreich.
Die Aussagen von Natascha Strobl wurden sehr unterschiedlich rezipiert.
Reaktionen auf Twitter
Der Wiener Gemeinderat und Landtagsabgeordnete Manfred Juraczka (ÖVP) äußerte sich zu dem Interview auf Twitter. Der Politiker ging aber weniger auf die Interview-Inhalte der „Extremismus-Expertin Strobl“ ein, sondern machte eine Anspielung auf ihre Zeit als „Pressesprecherin“ von der ehemaligen Stadträtin Sonja Wehsely (SPÖ): „Von einer weit links stehenden Pressesprecherin einer umstrittenen Gesundheitsstadträtin zu einer unabhängigen Politikexpertin kann es in Österreichs Medienlandschaft manchmal rasch gehen.“
Dieser Tweet heizte die Debatte richtig an. Eine Kollegin von Puls 4 entgegnete Manfred Juraczka:
Diese Schwarz-Weiß-Malerei lässt sich mittlerweile als pro oder contra Natascha Strobl subsumieren. In der Tat verwunderlich, da beide Lager den traurigen Anlassfall in Hanau und somit die Gräueltat per se verurteilen.
Doch warum wird der Diskurs über Natascha Strobl so emotional geführt? Ein möglicher Grund ist der Umgang mit Kritik von Natascha Strobl selbst. So sei an dieser Stelle genannt, dass die „Extremismus-Expertin“ mittlerweile mehr als 30.000 Personen auf Twitter geblockt hat:
In der Vergangenheit musste Fass ohne Boden sich bereits mit der „Expertise“ von Frau Strobl auseinandersetzen. Wohlgemerkt hat der nachfolgende Sachverhalt Ende 2016 stattgefunden. Dennoch gibt der nachfolgende Sachverhalt einen Einblick in die Welt von Natascha Strobl. Möglicherweise ist dies heute anders, jedoch sollen sich Leserinnen und Leser selbst ein Bild machen. Ein Rückblick.
Wehsely Facebook-Seite: User-Kommentar wird gelöscht
Am 6. Dezember 2016 kontaktierte ein Leser die Redaktion. M. A. teilte Fass ohne Boden mit, dass er aufgrund eines Kommentars, welchen er auf der Facebook-Seite der damaligen Stadträtin Sonja Wehsely gepostet hatte, der Kommentar gelöscht und er als Person gesperrt wurde (siehe Artikel Wehsely-Verein beantragt 503.770 Euro Förderung).
Der Leser war verwundert und kontaktierte das Büro der damaligen Stadträtin. Frau Strobl, die als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit die Facebook-Seite betreut hatte, erörterte ihm ihre Sicht der Dinge. Gegenüber Fass ohne Boden fasste der User die Löschung des Kommentars wie folgt zusammen: „Er sei deswegen gesperrt worden, weil er eine rechtsextreme oder rechtsradikale Seite reinkopiert habe. Und sowas wird auf der Facebook-Seite nicht zugelassen.“ Die Aussage wollte der Fass ohne Boden Leser als eidesstattliche Erklärung der Redaktion übermitteln. Zusätzlich bot M. A. sich im Falle eines Prozesses als Zeuge an. Als Redaktion suchten wir nicht eine juristische Auseinandersetzung, sondern wählten eine telefonische Aussprache mit der Referentin für Öffentlichkeitsarbeit.
Das Gespräch mit Natascha Strobl
Die Redaktion kontaktierte Natascha Strobl zu den Vorwürfen, die M. A. laut eigenen Angaben zitiert hat. Zuerst verneinte Strobl eine Sperrung des Users, es sei lediglich zur Löschung eines Kommentars gekommen. Sie habe die Formulierung gegenüber M.A. so auch nicht gesagt. Der weitere Gesprächsverlauf erwies sich aber spannend: „Und ich habe ihm erklärt, dass diese Seite am europäischen Forum Linz war und das etwas ist, was wir auf unserer Seite nicht haben wollen. […] Wir halten uns strikt ans DÖW (Anm.: Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands).“ Als Medium und als Privatperson stellte ich die Sicht der Dinge dar und verwies im konkreten Zusammenhang auf das Medienrecht und Strafrecht in Österreich. Selbst die Erörterung für die Teilnahme als Redner fand wenig Anklang. Laut Natascha Strobl werde das DÖW als „Instanz“ angesehen. Warum dies aber so sei, obwohl es sich um einen Verein handeln würde, konnte im Gespräch nicht geklärt werden.
Daher wandte sich die Redaktion an die Experten des DÖW, um eine Stellungnahme bezüglich der Vorwürfe zu erhalten. Es folgte ein sehr ausführliches Gespräch mit einem DÖW-Experten. Aber auch ein rege E-Mail-Konversation mit Natascha Strobl und dem DÖW-Experten waren die Folge. Und dank der „Instanz“ konnte die sogenannte Einschätzung von Natascha Strobl sehr schnell relativiert werden.
DÖW-Beurteilung
Noch am selben Tag erhielt die Redaktion eine klärende Antwort vom DÖW-Experten:
„Sehr geehrte Frau Strobl,
das DÖW kann nach einer Analyse der Webseite „Fass ohne Boden“ von Herrn Alexander Surowiec der Ansicht, wonach es sich dabei um eine rechtsextreme Seite bzw. bei Herrn Surowiec um einen Rechtsextremisten handelt, nicht näher treten. Auch wenn wir Herrn Surowiecs Auftritt beim rechtsextremen „Kongress der ‚Verteidiger Europas'“ kritisch beurteilen, lässt sich alleine aus dieser Tatsache ein Rechtsextremismusvorwurf nicht erheben.“
So blieb der Natascha Strobl lediglich nur noch die Möglichkeit, die eigene Ansicht im Namen des Wehsely-Teams, sprich der Redaktion, zu überdenken:
„Ich nehme die Einschätzung des DÖWs zur Kenntnis und werde betreffende Beiträge zukünftig nicht verbergen, sofern sie nicht anderweitig gegen unsere Richtlinien (Beschimpfungen, themenbezogen etc.) verstoßen.“
Fazit und Ausblick
Der Umgangston auf Twitter wird rauer. Beleidigungen auf der persönlichen Ebene werden zum Alltag, eine Vielzahl der Twitteranten empfindet dies als Diskurs. Ob das Gefühl der Anonymität oder gar die virtuelle Distanz, scheinbar werden einige User dazu verführt, Äußerungen zu tätigen, die man bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion nicht machen würde.
Manche Menschen empfinden „die Wahrheit gepachtet zu haben“. Dies zeigt von mangelnder Bereitschaft zur Reflexion. Demokratie lebt vom Diskurs und der sachlichen Auseinandersetzung. Und ja, es ist geschmacklos Natascha Strobl verbal zu attackieren oder auf einer persönlichen Ebene zu diffamieren. Genauso ist es aber auch befremdlich, Menschen einer rechtsextremen oder rechtsradikalen Gesinnung zu bezichtigen.
Es kann nicht im Sinne der Trauenden sein, dass die öffentliche Debatte so wie geführt wird wie bisher. Es hat seine Berechtigung, dass Justizministerin Alma Zadic (Grüne) Experten zu „Hass im Netz“ eingeladen hat.
Jegliche Form von Extremismus ist mit aller Konsequenz abzulehnen. Ob Anhänger des rechtsextremen Lagers, oder Personen, die Teil der linksextremen Szene sind. Beide Formen von Extremismus sind Gift für unsere Demokratie.
Analysen von Natascha Strobl können hier nachgelesen werden. www.natsanalysen.at
Eigentlich kommt der spannendste Aspekt in der Geschichte „Strobl und Hanau“ viel zu kurz.
Zitat Strobl auf Twitter: „Ich habe mir d Manifest des Terroristen v #Hanau durchgelesen, damit ihr das nicht müsst. Soetwas hat nichts in d Öffentlichkeit verloren u sollte ohne Einordnung nicht wiedergegeben werden“
Es soll eine „paranoide Textwurst“ sein, aus der sie „das wichtigste extrahiert“, das wäre laut Strobl:
*) eine radikal neoliberale Leistung-Haltung
*) sozialdarwinistisches, neoliberales Weltbild
*) Offener Vernichtungswunsch
*) Antisemitismus
*) Frauenhass
*) Obsession mit den USA
==> Schuld sollen natürlich Trump und die Alt-Right sein…
Wenn man die Behauptungen von Frau Strobl jetzt mit der Realität vergleicht, fällt auf, dass sie hier extremes Framing betreibt, um ein Narrativ zu bedienen, das sich in ihr Weltbild zwängen lässt. Wenn man sich das „Manifest“ des „Killers“ (Anführungszeichen deshalb, weil fraglich ist, ob das Dokument überhaupt von Tobias R. stammt oder ihm von einem Geheimdienst untergeschoben wurde) zu Gemüte führt, muss man zum Schluss kommen, dass er völlig irre gewesen sein muss:
*) Zeitreisen: „Zudem müssen wir eine „Zeitschleife“ fliegen und den Planten, den wir unsere Heimat nennen zerstören, bevor vor vielen Milliarden Jahren das erste Leben entstand. Denn wir können nicht, dass was alles jemals auf dieser Erde passiert ist, das Millionenfache Leid dass Menschen erlitten haben, so stehen lassen.“
*) Abgehörte Gedanken als Baby: Als 1 Woche altes Baby wusste er bereits, dass seine Gedanken von einem Geheimdienst abgehört werden; dieser Geheimdienst hat sich dann aufgrund seiner Gedanken zu diversen Hollywood-Filmen inspirieren lassen.
*) Noch nie Sex gehabt: Weil er dauerüberwacht werde, hat er sich keine Freundin gesucht
Diese überaus verstörenden Punkte des Manifests (besser „Pamphlet“) werden von Frau Strobl natürlich nicht erwähnt, gleichzeitig will sie nicht, dass andere diese Punkte erfahren („Soetwas hat nichts in d Öffentlichkeit verloren“), sondern verwendet die ganze Geschichte für ihr Nazi-Framing.