Im Management gibt es tolle Schlagworte: Effizienzsteigerung, Controlling, Potenzialhebung, Evaluation, Standardisierung, Struktur-Verschlankung, Prozess-Optimierung, Ökonomisierung usw. Das klingt alles immer sehr professionell und man kann damit die Zuhörer meist beeindrucken. Und für das Wirtschaftsleben, wo es erklärtermaßen immer um den Profit und um sonst nichts anderes geht, haben diese Worte auch ihre Berechtigung. Wirtschafter müssen prioritär an den Profit denken, sonst sind sie keine guten Wirtschafter.
Wo immer aber diese Begriffe im öffentlichen Gesundheitssystem auftauchen, ist für Ärzte und Patienten höchste Aufmerksamkeit und größte Vorsicht geboten. Im öffentlichen Gesundheitswesen verheißen sie nämlich nichts Gutes. Wenn die Manager kommen, dann werden unter deren Zusicherung, dass natürlich nur die Qualität verbessert und unnütze Kosten gesenkt werden müssen, praktisch immer Verschlechterungen durch- und eingeführt. Anders gesagt: Wenn die Evaluation beginnt, hat der klinisch-ärztliche Betrieb und damit der Patient schon verloren.
Die Medizin wird immer von menschlichen „soft skills“ wie Empathie, Zuwendung und Gefühl charakterisiert sein müssen, sonst wird sie zum technologischen Moloch.
Was alle Managementkünste dieser Welt nämlich nicht zusammenbringen, das ist die Heilkunst in eine messbare und berechenbare Disziplin umzuwandeln – schon gar nicht im öffentlichen Bereich. Die Medizin wird immer von menschlichen „soft skills“ wie Empathie, Zuwendung und Gefühl charakterisiert sein müssen, sonst wird sie zum technologischen Moloch. Und gerade der öffentliche Gesundheitssektor ist das Paradebeispiel dafür, dass man diesen Bereich nicht gleichzeitig öffentlich und betriebswirtschaftlich führen kann, wenn er unter politischem Einfluss steht.
Wenn sich nämlich zum Management die Politik dazugesellt, wird das öffentliche Gesundheitswesen zur gefährlichen Angelegenheit. Genau diese Problematik erleben wir derzeit in Wien. Im letzten Beitrag war an dieser Stelle vom „Spitalskonzept 2030“ die Rede. Heute geht es mit diesem Thema weiter, denn dieses Konzept steht im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) zu Recht unter Dauerfeuer der Ärzteschaft.
Unter ständigem politischen Schönreden der Situation werden die Konflikte zwischen der verantwortlichen roten Stadtregierung, der zuständigen Stadträtin Wehsely und ihrer Erfüllungsgehilfen auf der einen Seite und der Ärzteschaft auf der anderen Seite immer heftiger, auch wenn jetzt scheinbar nach dem kurzen, aber wirksamen Ärztestreik scheinbar Ruhe herrscht.
An der HNO-Abteilung des SMZ-Ost im 22. Bezirk sind nur noch 3 Fachärzte tätig.
Es reicht ein einziges Beispiel, um die Problematik des immer rascher auf seine Selbstzerstörung zusteuernden KAV zu beschreiben: An der HNO-Abteilung des SMZ-Ost im 22. Bezirk sind nur noch 3 Fachärzte tätig. Bei den dadurch naturgemäß auftretenden Engpässen in der Versorgung müssen Fach-Kollegen aus der Krankenanstalt Rudolfstiftung zur Hilfe gerufen werden, die den überlasteten HNO-Ärzten vor Ort zur Seite stehen. In der Rudolfstiftung beträgt dafür die Wartezeit auf Routine-Operationen bis zu 6 Monate, weil man natürlich immer nur ein Loch mit dem anderen stopft. Und, kein Spaß, dieses „Konzept“ soll zukünftig zur Routine werden. Legionäre (in der Fachsprache Konsiliardienst genannt) sollen immer dann ausschwärmen, wenn sie wo gebraucht werden. Einige Fachabteilungen werden dafür geschlossen.
Grund für dieses einer ehemaligen Welthauptstadt der Medizin unwürdige Schauspiel: Für die stationäre Medizin ist einfach nicht genug Geld da.
Nur böswillige Menschen werden jetzt eins und eins zusammenzählen und sich fragen: Moment, die Frau Stadtrat ist ja als verantwortliche Sozialpolitikerin auch für die Mindestsicherung und das Asylwesen zuständig und sie hat doch erst vor einigen Tagen 150 Mio Euro pro Jahr zusätzlich für die Mindestsicherung zugesagt? Und nur extrem böswillige Menschen werden weiterdenken und auf die Idee kommen, dass diese Millionen im Wiener KAV, der ja auch zum Ressort der Frau Stadtrat gehört, nun bitter fehlen könnten.
Die braven, dem Mainstream unterworfenen Denker tun so etwas nicht. Für sie sind immer die Ärzte die Sündenböcke, die alles behindern und nur Kosten und Zores verursachen. Der Generaldirektor des KAV, Udo Janßen, ist der wackere Auftragsarbeiter der Stadträtin. Er will und muss diesen unflexiblen und sich ständig aufbäumenden Wiener Ärzten endlich Mores lehren und sie auf Linie bringen. Die Wiener Patienten spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle, denn noch ist die von den Ärzten x-mal kritisierte chronische Mangel- und Fehlplanung erst in Einzelfällen spürbar und es gibt noch keine überdurchschnittliche Todesrate in den Spitälern.
Aber Sarkasmus beiseite. Es ist halt die Aufgabe von Ärzten, nach den besten Strukturen zu streben und die besten Bedingungen für die Patienten (und für die Ärzteschaft) zu fordern. Und das ist besonders dann notwendig, wenn praktisch niemand der Planer und zuständigen Politiker jemals reale Erfahrung mit der Behandlung von Wiener Patienten gesammelt hat und die ohne Zweifel notwendige Projektarbeit und das Change-Management nur am grünen Tisch erfolgen. Es müssen die Ärzte, die täglich die medizinische Arbeit bewältigen, maßgeblich mitbestimmen können. Und es wird nicht reichen, nur eine Reihe von willfährigen, den Sozialdemokraten ergebenen Primarärzte dabei zu haben.
Angesichts der herandräuenden gefährdeten Versorgungslage sei ein martialischer Vergleich gestattet: Vom Generalstab alleine ist ohne Einbindung der erfahrenen Front-Offiziere noch nie ein Krieg gewonnen worden. Der hausgemachte „Wind of change“, der da zunehmend stärker durch den KAV weht, könnte sich zum Sturm entwickeln, der einige Verantwortliche heftig zerzausen wird.
Zusätzlich zum Niedergang des stationären Sektors wurde gestern (noch inoffiziell) eine Bombe gezündet: Der Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern geht gerade in die Endphase. Diese sogenannte „15a-Vereinbarung“ enthält Vorschläge, die Sprengstoff sind und zum real spürbaren Anschlag auf die Wiener Patienten und Ärzte werden könnten:
Es ist angedacht, die Wahlarztrückerstattung zu beenden (!). Nur bei „versorgungswirksam“ tätigen Wahlärzten soll das noch möglich sein. Leistungen sollen von den Ordinationen in die ohnehin am Limit arbeitenden Ambulanzen verlagert werden. Bestehende Kassenverträge sollen aufgelöst werden können (!). Ärzte sollen gezwungen werden, bei elektronischen Anwendungen mitzumachen. Die PHC-Zentren sollen flächendeckend ausgerollt werden. Einzeln tätige Ärzte (Hausärzte) wären damit Geschichte.
Über die enorme und sowohl für Patienten wie Ärzte destruktive Tragweite dieser teils mehr als haarsträubenden Ideen gibt es nächste Woche ein Weekly Franz – Spezial.
Über Marcus Franz
Polit-Diagnostiker mit Therapiekonzept.
Arzt, Nationalratsabgeordneter, Blogger, fraktionslos und frei.